„Lasst sie ruhn, die Asche meiner / Freuden“ – Hölderlins „Palinodie“

Dieses Gedicht entstand in engem zeitlichen Zusammenhang mit Mein Eigentum, auch also  im Jahre 1799. Palinodie – übersetzt Gegengesang – scheint den in Mein Eigentum erreichten Bewusstseinszustand wieder aufzugeben.

War die Absage in Mein Eigentum bewusstseinsbedingt, entsprach also einem Entwicklungsschritt, den Menschen tun, indem sie zwar die Götter durchaus schätzen, aber wahrnehmen, dass es ihnen um ein unabhängiger werdendes Bewusstein gehen muss, so ist der Ton hier zwar resolut (vgl. II,3), aber eben auch resolut sich wieder unterwerfend (vgl. VI,1ff) . Dies wird zusammenhängen mit Hölderlins gemachten Erfahrungen, mit der Trennung von Susette Gontard; nicht von ungefähr spricht er von der Asche meiner / Freuden.

Palinodie scheint mir doch zu beweisen – zumal es der berühmte Philologe und Hölderlinkenner Friedrich Beißner zeitlich nach Mein Eigentum eingeordnet hat -, dass Hölderlins Inneres doch noch erheblichen Schwankungen unterworfen war, dass der Ton in Mein Eigentum also zwar ehrlich war, aber nicht für Hölderlins damalige Lebensphase generell gelten kann.

Eine Palinodie (betont auf dem Schluss-i mit stummen -e-) ist der Definition nach ja ein Gedicht, das den Inhalt eines früheren Gedichtes widerruft, das allerdings mit denselben formalen Mitteln. Das folgende, fragmentarisch gebliebene Gedicht, das Hölderlin  allerdings meiner Ansicht nach nicht von ungefähr nicht einer Vollendung zugeführt, sondern in diesem Zustand belassen hat, widerruft in gewisser Weise den Gehalt und die Bewusstseinsstufe von Mein Eigentum, vor allem, was das Verhältnis zu den Göttern betrifft, denen er sich hier gegenüber wieder unterwürfig zeigt und jede Selbstständigkeit aufgibt, aber es ist eben nicht vollendet! Das mag darauf verweisen, dass Hölderlin dieser sich hier spiegelnde Bewusstseinszustand nicht wert war, wieder vollgültig in seinen ursprünglichen Rang gehoben zu werden:

 

Palinodie

Was dämmert um mich, Erde! dein freundlich Grün?
Was wehst du wieder, Lüftchen, wie einst, mich an?
In allen Wipfeln rauschts, …
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Was weckt ihr mir die Seele? was regt ihr mir
Vergangnes auf, ihr Guten! o schonet mein
Und laßt sie ruhn, die Asche meiner
Freuden, ihr spottetet nur! o wandelt,

Ihr schicksallosen Götter, vorbei und blüht
In eurer Jugend über den Alternden
Und wollt ihr zu den Sterblichen euch
Gerne gesellen, so blühn der Jungfraun

Euch viel, der jungen Helden, und schöner spielt
Der Morgen um die Wange der Glücklichen
Denn um ein trübes Aug und lieblich
Tönen die Sänge der Mühelosen.

Ach! vormals rauschte leicht des Gesanges Quell
Auch mir vom Busen, da noch die Freude mir,
Die himmlische, vom Auge glänzte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Versöhnung, o Versöhnung, ihr gütigen,
Ihr immergleichen Götter, und haltet ein,
Weil ihr die reinen Quellen liebt

 

> Hölderlin, Mein Eigentum
bzw. zu dem Post
Was Hölderlin ahnte, Rilke wusste und Mikhaël Aïvanhov offenlegt:
Herbst ist die Zeit des Eigentums –
nur ein geschützter Herd ist Goldes wert.

 

Hinterlasse einen Kommentar