Heiliges Atmen. – Über einen möglichen Luftleib in uns

So wie wir zum Beispiel die Luft durchschreiten, so schreiten wir auch immer, wohin wir uns wenden, durch unzählige, unsichtbare Wesen hindurch. Alles, alles, was uns umgibt, ist der Ausdruck solcher Wesenheiten.
Wenn wir einen Atemzug tun, so atmen wir nicht nur Luft ein, sondern zugleich strömt ein hohes geistiges Wesen, dessen physischer Leib die Luft ist, in uns ein und füllt unseren ganzen Organismus aus.
Beim Ausatmen flutet dieses Wesen wiederum aus uns heraus.
Wir sollen uns nun bei jedem Atemzug dessen bewußt werden, daß ein göttlich-geistiges Wesen in uns seinen Einzug hält und uns klar sein, daß wir selbst ein solches Wesen einst werden wollen.
Das Wesen, das in der Luft verkörpert ist, steht viel höher als wir heute, aber doch stand es einstmals da, wo wir jetzt stehen und es wird die Zeit kommen, wo wir uns auch so weit hinaufentwickelt haben werden wie dieses.
Wenn wir nun in einer esoterischen Schule sind, so soll durch die Übungen, in welcher Art sie auch immer gegeben sind, bewirkt werden, daß wir ein lebendiges Bewußtsein dieses in uns einströmenden Geistes erhalten.

Was ist es denn, was in uns «Ich» sagt? Das ist der eingeatmete Luftstrom. Er schafft das rote Blut in uns, und erst seit das rote Blut unseren Körper durchflutet, haben wir gelernt, «Ich» zu sagen. Aber nicht nur in der einströmenden Luft wirkt ein geistiges Wesen auf uns ein, auch überall in unserem Körper, in Muskeln, Nerven und Knochen arbeiten höhere Wesenheiten.
Aber dadurch, daß man das erkennt, ist man noch kein Esoteriker. Wenn ich mir sage: Beim Atmen zieht die Luft in mich ein, so bin ich ein Materialist. Wenn ich weiß und erkenne, daß eine geistige Wesenheit mit dem Atemzug in mich hineinfließt, so bin ich ein Erkennender, aber noch kein Esoteriker.
Aber wenn ich voll Ehrfurcht jeden Atemzug in mich einströmen lasse, voll tiefster Ehrfurcht vor dem göttlichen Wesen, das meinen Organismus durchdringt, wenn ein lebendiges Gefühl von dieser hohen Wesenheit mich ganz erfüllt, dann bin ich ein Esoteriker.

Was schafft nun dieser in der Luft verkörperte Geist in mir?
Er dringt ein ins Blut, meinen ganzen Organismus ausfüllend, so daß in meinem Innern ein Luftleib gebildet wird, umgeben von den Knochen, Muskeln, Sehnen und so weiter. Dieses Luftleibes soll ich mir durch die Übungen ganz bewußt werden, es ist ja derselbe, der «Ich» sagt in mir
.

Wenn man in diesem Sinne seine Übungen macht, dann wird man immer freier, und es ist, als ob ein ganz neuer Mensch in einem erstünde. Dann sagt man nicht mehr «Ich» zu seinen Knochen, Muskeln und Sehnen, dann fühlt man sich selbst ganz in diesem Luftleib, im Geiste des in der Luft verkörperten Gottes findet man sein Selbst.

Was tut denn der Mensch eigentlich, wenn er Übungen macht?
Darüber müssen wir uns ganz klar werden. Er lebt, wenn er übt, so, wie einst in Zukunft alle Menschen leben werden. Während der Zeit seiner Übungen befindet sich der Esoteriker in einem Zukunftszustand der Menschheit. In Zukunft werden alle Menschen so atmen wie der Esoteriker, während er Atemübungen macht, aber sie werden es nur bedingungsweise tun. Erst in einer noch viel ferneren Zukunft wird es allen Menschen das Natürliche sein, so zu atmen. Aber dann wird der Körper des Menschen ganz, ganz anders geworden sein. Er wird so sein, daß es sich ihm ganz natürlich ergibt, so zu atmen, wie es jetzt der Esoteriker zeitweise tut. Was der esoterische Schüler tut, ist also eigentlich eine Vorwegnahme dessen, was später geschehen wird.
Es ist in gewissem Sinne noch nicht ganz zeitgemäß. Der physische Körper ist noch nicht darauf eingerichtet. Der Esoteriker eilt also seiner Zeit voraus und schafft in die Zukunft hinein.
Aber nur dadurch allein ist ein Fortschritt möglich. Niemals könnte sich unsere Erde fortentwickeln, wenn es nicht Menschen auf ihr gäbe, die schon so lebten, wie es erst in ferner Zukunft die ganze Menschheit tun wird. Wenn niemand auf der Erde wäre, der esoterische Übungen machen wollte, so müßte die Erde immer mehr und mehr erstarren. Zwar schaffen ja alle Menschen im Devachan an der Umgestaltung der Erde. Aber wenn nun die auf Erden Verkörperten nur bestrebt wären, alles so zu erhalten wie es jetzt ist, und zugleich die im Devachan Lebenden die Erde umgestalten wollten, so wäre keine Harmonie zwischen ihrem beiderseitigen Wirken. Die Menschen auf der Erde würden es dahin bringen, daß die Erde ganz verknöcherte und erstarrte, und durch die Wirkung derer im Devachan, die die starre Erde umgestalten wollen, würde die Erde sich schließlich zersplittern und zerstört werden. Darum muß jeder Esoteriker sich dessen klar bewußt werden, welch eine heilige Pflicht für den Fortschritt der Menschheit er erfüllt, wenn er esoterische Übungen macht.

aus Rudolf Steiner, GA266/1
Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band I: 1904 – 1909

PS: Ich möchte allerdings empfehlen, mit diversen esoterischen Übungen, die in manchen Büchern und von manchen sogenannten Esoterikern entworfen und verbreitet werden, vorsichtig umzugehen, ja, Abstand zu halten, ebenso von diversen Meditationstexten, die sich auf dem Markt finden. Gerade bei geführten Meditationen, die manche Leute im Netz anbieten, kann die geköderte Seele in deren eigene Untiefen geführt werden – mit möglicherweise üblen Folgen, auch wenn alles angeblich voller Licht, Logos und Liebe ist. Es kann aber genauso geschehen, dass manche fast Heilig-wirken-Wollende andere Seelen in die eigenen flachen Gewässer ziehen, wo es ihnen dann so geht wie Walen, die in zu flaches Wasser geraten.

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